Ich kann lernen
Veröffentlicht in: 4/2013 Kommunikation & Seminar 53
Kinder lassen freimütiger als Erwachsene einschränkende Glaubenssätze erkennen. Was bedeutet das für die Arbeit an den Schulen?
Der erste Schultag am Gymnasium. Die 12-jährige Johanna betritt den Klassenraum, sie wirkt schüchtern, jetzt steht Panik in ihren Augen, das Atmen fällt ihr schwer. Sie ist nicht das einzige Kind im Raum, an dem ich diese Symptome wahrnehme. Nach dem Unterricht hole ich Johanna zu mir und frage sie, wie ihr unsere Schule gefällt. Ihre Worte machen mich betroffen: „Eigentlich darf ich gar nicht hier sein. Mein älterer Bruder hat auch keine höhere Schule besucht und noch dazu bin ich ein Mädchen. Das werde ich nie schaffen.“
Johanna drückt damit, wie viele ihrer Mitschülerinnen, offenkundig Gefühle und Einstellungen ihrer Eltern aus, deren die Schule betreffende Erfahrungen, Freuden oder Ängste. So trifft die Pädagogin, der Pädagoge nicht nur die 25 Schüler, die im Klassenraum sitzen sondern im Grunde auch 25 mal x Prägungen, Glaubenssätze und Muster der Mütter und Väter.
Meine Lehrtätigkeit umfasst Kommunikation und Präsentation sowie das Fach „Soziales Lernen und soziale Kompetenz“. Darüber hinaus betreue ich mit einem Beratungsteam Kinder und Jugendliche im Alter von zehn bis 18 Jahren, die schulische wie psychologische Hilfe benötigen. Ziel der Schule ist es, mit ihrem Bildungskonzept den Kindern und Jugendlichen nicht nur Leistungen abzuverlangen, sondern ihnen auch Raum für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu bieten.
Immer wieder erfahre ich, wie einschränkende Überzeugungen die Kinder in ihrer Kreativität und Leistungsfähigkeit hemmen, sodass sie ihr Potenzial nicht recht entfalten können. Schule von heute bedeutet für mich daher nicht mehr nur Lehren und Lernen. Die Rolle des Lehrers bezieht sich zunehmend auf die Schule als ein Beratungsfeld, in dem auch psychologische Qualifikationen gefragt sind. Der erste und entscheidende Schritt für mich in der Arbeit mit Kindern ist es, ihnen mit Achtung und Wertschätzung zu begegnen. Ich möchte ihnen das Gefühl geben, dass sie in Ordnung sind, unabhängig von ihren Gedanken, ihrer Lebenshaltung und vor allem unabhängig von ihren Leistungen. Ich erkenne an, was sie bereits können.
Immer wieder erfahre ich, wie einschränkende Überzeugungen die Kinder in ihrer Kreativität und Leistungsfähigkeit hemmen, sodass sie ihr Potenzial nicht recht entfalten können. Schule von heute bedeutet für mich daher nicht mehr nur Lehren und Lernen. Die Rolle des Lehrers bezieht sich zunehmend auf die Schule als ein Beratungsfeld, in dem auch psychologische Qualifikationen gefragt sind. Der erste und entscheidende Schritt für mich in der Arbeit mit Kindern ist es, ihnen mit Achtung und Wertschätzung zu begegnen. Ich möchte ihnen das Gefühl geben, dass sie in Ordnung sind, unabhängig von ihren Gedanken, ihrer Lebenshaltung und vor allem unabhängig von ihren Leistungen. Ich erkenne an, was sie bereits können. Ich beurteile ihre Resultate nicht fort, sondern ich frage nach, was diese für sie bedeuten. Ich lenke den Blick auf das Gelungene, um den Heranwachsenden zu helfen, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren und von einem solchen Bewusstsein der Stärke ihre Schwächen zu erkennen und zu überwinden. Wie können Kinder und Jugendliche sich selbst und auch anderen mit mehr Respekt und Achtung begegnen? Ziemlich am Anfang mache ich eine Übung mit ihnen, in der sie für sich den Satz vervollständigen „Ich bin … “oder „Ich kann … “ und das in irgendeiner ihnen gemäßen Form notieren. Diese Sätze tragen sie dann bei sich, und manchmal wirken sie wie Anker, etwa in Situationen, in denen sie an sich zweifeln.
Wer sich Kindern widmet und ihnen aufmerksam zuhört, wird beschenkt mit einem Einblick in ihre Gedankenwelt. Kinder äußern ihre Gedanken viel freier und kreativer als Erwachsene. Meine Erfahrung ist, dass sie auch schneller und freimütiger als Erwachsene einschränkende Sätze und Muster preisgeben. Genau da kann Pädagogik ansetzen. So-bald ich solche einschränkenden Sätze, wie jenen von Johanna an ihrem ersten Schultag am Gymnasium, höre, sehe ich Handlungsbedarf. Für die Arbeit mit Johanna und einigen ihrer Mitschülerinnen, deren Schulängste sehr groß und deren Selbstwert sehr niedrig waren, habe ich Formate aus dem NLP kombiniert. Ich beginne mit einer Erzählung, einer Metapher, in der es um eine Gruppe von Mädchen ging, die für eine wichtige Aufgabe auserwählt worden sind. Sie sollen die Königin vor einer eifersüchtigen Waldfee retten. Obgleich es sehr ängstliche Mädchen sind, haben sie von Anfang an Abenteuer zu bestehen – gefährliche Begegnungen mit Naturgewalten in der Bergwelt und Auseinandersetzungen mit hinterlistigen und bösen Figuren im Zwergenland zum Beispiel. Und mit jeder gelungenen Prüfung werden die Mädchen stärker und selbstbewusster. Unterwegs treffen sie immer wieder auf helfende Hände oder nützliche Dinge, und sie finden auch mentale Unterstützung.
Anschließend gibt es die Wunderfrage an Johanna und ihre Kameradinnen. Wenn auch sie auserwählte Mädchen seien und ihre Schule ein Königreich wäre, in dem über Nacht ein Wunder geschehen könnte – woran würden sie es erkennen? Welche Bilder und Farben entstehen dabei? Jedes Mädchen zeichnet sein Bild dazu. Und findet mehrere unterstützende Sätze, die das Zeug dazu haben, an die Stelle einschränkender Überzeugungen zu treten. Ich kann lernen. Ich schaffe, was ich mir vornehme. Ich bin selbstbewusst. Ich bin mutig. Mit solchen Sätzen arbeiten wir in wiederkehrenden Ritualen zur Auflösung von Blockaden. Um diese stärkenden Überzeugungen zu verankern, habe ich für die Arbeit mit den Mädchen einen „Help-Prozess“ nach Fred Gallo abgewandelt.
Es ist immer wieder berührend zu sehen, wie Kinder bewusste Entscheidungen für ihre Veränderung treffen und dadurch Verantwortung für sich selbst übernehmen. Sie formulieren selbstständig neue Glaubenssätze und suchen auch immer wieder das Gespräch, um weiter daran zu arbeiten. Weiterer Gegenstand meiner Veränderungsarbeit an der Schule ist der bewusste Umgang mit Werten. Werte bestimmen, was uns bedeutsam ist und was wir tun. Sie sind ein wesentlicher Baustein unserer Identität und unseres Selbstkonzeptes. Wir übernehmen sie durch Nachahmung und Identifikation. Werte bestimmen ganz wesentlich, ob wir Freude am Lernen und Tun haben oder nicht. Nach meiner
Erfahrung können sich Kinder und Jugendliche über die Inszenierung von Märchen sehr gut ihren Werten nähern und mit ihnen auseinandersetzen. Kinder lieben Rollenspiele, sie lieben es, sich Figuren zu wählen oder auszudenken, mit denen sie sich identifizieren können. Es ist immer wieder spannend zu beobachten, wie sie mitten im Spiel einem bekannten Märchen plötzlich völlig neue Richtungen geben. Und so ein stückweit ihre eigene Lebensgeschichte durchspielen. Da spielen Geschwister eine Rolle, die Schule, die Eltern, hilfreiche Elfen.
Im Verlaufe solcher Inszenierungen nehmen Kinder ihre eigene Geschichte bewusster als bisher wahr, sie erkennen ihre Wahlmöglichkeiten und auch Gelegenheiten, sie in ihr Leben einzubauen. Sie nehmen Anteil an den Geschichten der anderen und lernen Empathie. Das ist für mich etwas, was die Schule über die Wissensvermittlung hinaus leisten muss, um Kinder zu selbstkompetenten und selbstverantwortlichen Menschen zu erziehen. Und was sie auch leisten kann.